Think-Tank

7 Texte

Die Autor*innen wurden unabhängig voneinander eingeladen, zu spezifischen Fragen einen Beitrag zu verfassen. In der gewählten Anordnung werden diese heterogenen Positionen miteinander kontrastiert. Manche Texte bewegen sich in konkreten Feldern, andere im Bereich des Abstrakten, und eröffnen so gemeinsam ein Spektrum an Möglichkeiten des Denkens und Handelns.

Autor*innen

Elke Buhr

ist Kulturjournalistin und Kunstkritikerin und Chefredakteurin von Monopol  – das Magazin für Kunst und Leben. Sie lebt in Berlin.

Dr. Frédéric Bußmann

ist seit 2018 Generaldirektor der Chemnitzer Kunstsammlungen. In seiner Tätigkeit als Kunsthistoriker und Kurator legt er einen Fokus auf die Vermittlung gesellschaftsrelevanter Themen und Konflikte in und durch zeitgenössische Kunst.

Heinz-Norbert Jocks

ist In- und Auslandkorrespondent von KUNSTFORUM International. Neben seinen Tätigkeiten als Journalist, Autor, Kunstkritiker, Ausstellungsmacher, Essayist und Publizist ist er zusammen mit Dominique Lucien Garaudel Mitbegründer des Meta-Kollektivs „The Collective Eye“.

Dr. Hanno Rauterberg

ist stellvertretender Ressortleiter im Feuilleton der Zeit. 2018 veröffentlichte der Kunstkritiker und Autor das Buch Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus im Suhrkamp Verlag.

Nicolaus Schafhausen

ist Kurator und Kulturmanager. Aktuell verantwortet er das Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt  „Tell me about yesterday tomorrow“, das im Herbst 2019 am NS-Dokumentationszentrum München eröffnet wird. Seit 2011 ist Nicolaus Schafhausen strategischer Direktor des Residenz- und Think-Tank-Programms von Fogo Island Arts, einer Initiative von Shorefast. Von Oktober 2012 bis März 2019 leitete er die Kunsthalle Wien, die er aufgrund der nationalistischen Politik Österreichs verließ.

ist Kunst- und Literaturwissenschaftlerin und seit 2013 Direktorin des Dom Museum Wien. Die von ihr kuratierte Ausstellung „Zeig mir deine Wunde“ ist bis 25. August 2019 zu sehen.

Dr. Barbara Steiner

ist Kunsthistorikerin, Kuratorin, Autorin
und Herausgeberin. Als Leiterin des Kunsthauses Graz beschäftigt sie sich mit den Einflüssen von Globalisierung und Ökonomisierung auf aktuelle Kunst- und Ausstellungspraktiken.

Texte

Johanna Schwanberg

Die Kunst,
verwundbar zu bleiben

Neue Mauern, Poller an frequentierten öffent-lichen Orten, geschlossene Grenzen: Die heutige Gesellschaft ist stark darum bemüht, sich schützend abzugrenzen. In einer Zeit, in der die Möglichkeit eines terroristischen Angriffs in allen Köpfen präsent ist, erscheinen viele Phänomene als Bedrohung. Versuche des neuzeitlichen Menschen, Verwundungen zu vermeiden, stoßen an Grenzen und können sogar neue Verwundbarkeiten hervorbringen. Technologische Erfindungen, etwa, die das Leben sicherer zu machen scheinen, aber zu Umweltzerstörungen führen, die das Leben gefährden. Die Angst, verwundet zu werden, beziehungsweise Anstrengungen, sich gegen Verwundungen zu schützen, führen häufig zur Verwundung anderer, sodass es schwierig ist, von erlittenen oder potenziellen Verletzungen zu sprechen, ohne auch die Kehrseite der Medaille – nämlich die Fähigkeit des Menschen, zu verletzen – mitzudenken.

Die Frage nach dem Umgang mit der Wunde – sich dagegen zu schützen oder sich der eigenen Verwundbarkeit zu öffnen, sie als Chance zu begreifen – ist daher ein Grundthema des Menschen und durch die gesamte abendlän-dische Kunstgeschichte verfolgbar, ausgehend von der Veranschaulichung der Leidensgeschichte Jesu.
Auch in der Moderne stellt die Verwundbarkeit ein Hauptmoment der Kunst dar: Vom Aufzeigen der Kriegsgräuel, etwa bei Francisco de Goya oder Käthe Kollwitz, bis zur Beschäftigung mit der Verletzlichkeit des eigenen Körpers, wie es bei Frida Kahlo oder Francis Bacon zu finden ist. Die Fragilität der menschlichen Existenz ist ein tragender Aspekt der Kunst nach 1945, der besonders ab dem Aufkommen performativer Kunstformen eine existentiellere Dimension bekommt. So erklären Künstler_innen wie Marina Abramovic oder Günter Brus ihren eigenen Körper zum Medium, dem die Wunden, stellvertretend für die Gesellschaft, zugefügt werden.

Gerade die bildende Kunst hat mehr als alle anderen Medien die Möglichkeit, den Finger auf Wunden zu legen und die Betrachter_innen zu sensibilisieren. Zugleich stellen viele Kunstwerke die Frage, ob ein Leben ohne Verwundbarkeit überhaupt erstrebenswert wäre? Macht die Fragilität des Lebens, die körperliche wie seelische Verletzlichkeit, nicht erst empfindsam für die Sinnlichkeit des Daseins, für Beziehungen, für die Schönheit des Augenblicks?

Heinz-Norbert Jocks

Die unangezapften
Ressourcen

In seiner Schrift „Es gibt keine kulturelle Identität“ begründet der Philosoph François Jullien seine Ablehnung von kultureller Identität damit, dass diese verhindere, das Gemeinsame zwischen den Kulturen wahrzunehmen. Der Begriff erlebt derzeit überall auf der Welt in Form eines wiederkehrenden Nationalismus wilde Konjunktur. Wider dem, was Kultur auszeichnet, werden Grenzen gezogen und Fronten errichtet, die eine friedliche Koexistenz und die gegenseitige Belebung der Kulturen verhindern. Von Unterschieden zu reden, ist letztlich eine Sackgasse, denn Kultur zeichnet sich doch gerade dadurch aus, dass sie sich laufend verändert.
 

Nicht anders die Kunst. Wenn Biennalen überall auf der Welt oder die documenta in Kassel der Globalisierung dadurch entsprechen, dass Künstler aus allen Kontinenten eingeladen werden, so vermittelt dies zwar den Eindruck, dass die Kunstwelt bereits den Punkt des gleichberechtigten Dialogs zwischen den Kulturen erreicht hat. Doch diese temporären Ereignisse sind Ausnahmesituationen. Der Diskurs im Westen über die Erweiterung des Museums zu einem globalen zeugt von einer seltsamen Enge, da die Moderne als ein alles überschreibender Maßstab herangezogen wird. Doch zugelassen wird nur das, was mit der Moderne kompatibel ist. Dabei wird verkannt oder erst gar nicht bedacht, dass die Moderne eine Erfindung des Westens ist. Alles andere wird als exotisch ins ethnologische Museum abgeschoben. Ein realer Dialog auf Augenhöhe wird verhindert. Das Prinzip Homogenisierung hat hier das Sagen. Dabei würden erst eine Heterogenisierung jenseits aller Hierarchisierung sowie eine Aufhebung sämtlicher Dichotomien den sich gegenseitig befruchtenden Austausch forcieren und vitalisieren. Bezeichnend ist, dass die Anzahl der Künstler aus nicht westlichen Ländern sowohl im westlichen Ausstellungswesen als auch auf dem Kunstmarkt gering und völlig unterrepräsentiert ist. Die Favorisierung eines Künstlers wie Ai Weiwei etwa wirkt da wie eine Mauer, die den Blick auf den Reichtum der zeitgenössischen Kunst in China verstellt. Signifikant ist zudem, dass Künstler aus Entwicklungsländern im Westen noch schlechtere Karten haben als aus ökonomisch erstarkenden oder erstarkten Ländern. Würde das Morgenland, bildlich gesprochen, im Abendland ankommen, und umgekehrt, so würde dies wie eine Bombe einschlagen, die ein Sehen und Denken ohne Ufer nicht nur befeuern, sondern auch neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen würde.

Nicolaus Schafhausen

Keine Provokation
um der Provokation willen

Es erscheint mir ein wesentliches Mittel zu sein sich gegen die Entsolidarisierung, welche die momentane Situation von Politik und Kultur mit sich bringt zu positionieren. Meiner Ansicht nach ist unsere Erwartungshaltung gegenüber der Politik und Kultur zu einer Selbstbeherrschung geworden. Ich denke zum Beispiel an den italienischen Filmregisseur, Dichter und Publizisten Pier Paolo Pasolini (1922 – 1975), der einmal gesagt hat die Wahre Antidemokratie ist die Massenkultur.¹ Kunst sollte aus einer Notwendigkeit heraus entstehen! Wenn Kunst uns helfen soll, die Welt zu erschließen; dann muss sie auch das behandeln, wovor sich Menschen fürchten. Die Ergründung des Verhältnisses künstlerischer und kuratorischer Tätigkeit zur Welt ist keine Frage unter anderen. Es ist irritierend und unbequem, denn impliziert oder explizit führt es immer dazu, dass wir uns einem Problem stellen müssen, mit dem wir uns lieber nicht befassen würden: dem Problem des Werts, der Bedeutung und Tätigkeit, der wir unser Leben widmen. Die Welt ist so komplex geworden, dass sie sich nicht mehr vereinfachen lässt. Jede Wirkung scheint von ihren mannigfachen möglichen Ursachen getrennt zu sein; jeder Versuch eine Synthese, eines vereinheitlichen Bildes, erweist sich als unzureichend.
 
Ich wünsche mir von Kuratoren und Künstlern, dass diese sich eigenständig positionieren und denken, sowie ein allseitiges Bewusstsein dafür, dass die Errungenschaften unserer Zeit bedroht sind. Von unserem Verhalten wird es abhängen – wir müssen die Kultur mit der Gesellschaft konfrontieren. Keine Provokation um der Provokation willen, sondern eine genau durchdachte und leidenschaftlich formulierte Parteinahme für die bedrohte Kultur. Solche Momente wünsche ich mir, und ihre Beachtung, Anschläge des Denkens, gewaltfrei, erhellende Blitze von Empathie, Intelligenz und Klage. Denn die Klage war in der Geschichte immer das erste Mittel, um gesellschaftliche Probleme zu erfassen und damit auf Veränderungen hinzuwirken.
 
 
 
 


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1     Hans Ulrich Reck, Pier Paolo Pasolini, Wilhelm Fink Verlag, München 2010, Wilhelm Fink Verlag. Seite 74

Hanno Rauterberg

Damit wir frei sind.

Ein Blick ins Grundgesetz: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ So steht es, im Artikel 5, unumstößlich – und
leider unbegründet. Warum und wozu die Kunst frei ist, wird nicht gesagt. Sie ist, so darf man schlussfolgern, deshalb frei, damit ihre Freiheit unbestimmt ist. Und unbestimmt bleibt die Freiheit der Kunst, damit wir frei über die Bedeutung ihres Freiseins befinden können. Die Kunst ist also frei, damit wir frei sind.

Nichts anderes kennzeichnet die Moderne, in der die Kunst sich von tradierten Zwängen gelöst, ja befreit hat, von Hof und Kirche, von der Macht. Sie ist nun frei, eine eigene Macht zu markieren. Diese Macht liegt in der Freiheit, denn erst die Freiheit begründet ihre Bedeutung. Zuvor war sie bedeutsam, weil sie an tradierte Mächte gebunden war. Jetzt ist sie mächtig, weil sie frei ist. Sie darf, sie soll alle Erwartungen, alle Konventionen überschreiten. Die Kunst muss niemandem treu sein, auch sich selbst nicht. Das ist das Privileg ihrer Freiheit.

Warum aber genießt sie dieses Privileg? Sie ist frei, damit wir frei sind und im Angesicht der Kunst begreifen, dass in der Freiheit auch unsere Macht liegt. Wir begreifen diese Freiheit, weil die Kunst ihre Macht nicht verwaltet, sie nicht auf einen Thron stellt, vielmehr lebt sie die Macht ihrer Freiheit. Das heißt, sie pflegt einen freiheitlichen Umgang mit sich selbst und mit der Welt. Es gibt die Kunst ja nicht, damit sie oder die Welt so bleiben, wie sie sind. Kunst will nicht nichts. Sie will in der Welt etwas formen, sie will das Bestehende überschreiten. Und so erzählt sie auf ihre Weise davon, wie sich der Mensch frei auf die Welt einzulassen vermag, wie er sie als berührbar, beweglich und veränderbar erfahren kann.

In der Kunst verkörpert sich mithin die Vorstellung, dass der Reiz der Freiheit im Formen, im Bewegen und Verändern liegt. In der Kunst bereichert sich der Mensch nicht durch Besitz (auch wenn der Kunstmarkt etwas anderes suggeriert), er bereichert sich durch die ästhetische Erfahrung der eigenen Freiheitlichkeit. Er kann in dieser Erfahrung nicht nur die Welt, sondern auch sich selbst als formbar und veränderlich erfahren. Die Kunst ist frei, damit sich der Mensch in dieser Freiheit erkennt: frei um seiner selbst willen, frei, seine Freiheit zu formen.

Elke Buhr

Wie frei ist die Kunst?

In unserer nach Skandalen gierenden Gegenwart hat auch der Kunstbetrieb medienwirksame Aufreger zu bieten. Aktionen wie die der Performancekünstlerin Sonia Boyce werden international durch die Medien gejagt: Boyce hatte im Rahmen einer Kunstaktion an der Manchester Art Gallery  das Gemälde „Hylas und die Nymphen“ von John Wiliam Waterhouse aus dem späten 19. Jahrhundert abhängen lassen – stattdessen sollten Besucher und Besucherinnen ihre Gedanken und Kommentare auf kleine Zettel schreiben und darüber nachdenken, was die stereotypen Darstellungen nackter junger Frauen in der Kunstgeschichte bedeuten. „Zensur!“ schrien einige Herren im deutschen Feuilleton, die Kuratorin in England kassierte Morddrohungen. Auch Ausstellungen des Malers Balthus eignen sich gut für Aufschreie dieser Art: Während Kritikerinnen sich meist an der lolitahaften – oder im Klartext auch pädophil zu nennenden – Energie seiner Bilder stoßen, schützen die Verteidiger vehement das, was sie Freiheit oder Autonomie der Kunst nennen.
Bei Kunst gehe es um Qualität, nicht um Quote oder Moral, heißt es. Und ja, die Theorie der Kunstautonomie ist fundamental für das Selbstverständnis der abendländischen Moderne, in einer Demokratie darf keine Regierung, darf keine politische Partei über die Kunst bestimmen – an diesem Grundsatz darf nicht gerüttelt werden.

Allerdings bedeutet das nicht, dass das, was heute in unseren Museen hängt, völlig unbeeinflusst von außerkünstlerischen Einflüssen dort hingelangt wäre. Bis vor 100 Jahren konnte eine Person zum Beispiel so viel künstlerisches Talent haben wie sie wollte: Falls sie weiblichen Geschlechts war, wurde sie auf den meisten Kunsthochschulen gar nicht erst aufgenommen. Das Abendland hielt sich auch in der Kunst für den Nabel der Welt und hatte keinen Blick für interessante künstlerische Strömungen in anderen Teilen des Globus.
Der Kanon, also das, was heute in den Museen der westlichen Welt hängt und für „frei“ gehalten wird, ist Ergebnis einer unauflösbaren Mischung aus Ästhetik mit Macht, Geld und Einfluss. Man muss das nicht bedauern, man muss es nur wissen. Dieser Kanon ist ständig in Bewegung – für die Museen ist das letztlich eine gute Nachricht, denn nur so bleiben sie verbunden mit der politischen Gegenwart.

Barbara Steiner

Kuratorische Strategien
gegen einen erstarkenden Rechtspopulismus?
Ein Versuch.

Der international erfolgreiche Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila ist kongolesischer Herkunft und hat kürzlich den wichtigsten steirischen Literaturpreis, den Peter-Rosegger-Preis, bekommen. Er selbst sieht sich als Grazer und Kongolese. Die diesjährige Kunstpreisträgerin der Stadt Graz ist Azra Akšamija. Sie stammt aus Bosnien-Herzegowina, ist in Graz aufgewachsen und hat an der Technischen Universität Graz Architektur studiert. Heute arbeitet die Künstlerin und Architektin am MIT in Cambridge. Mit beiden hat das Kunsthaus wiederholt zusammen gearbeitet. Unsere gegenwärtige Ausstellung zeigt Arbeiten von Jun Yang. Er ist mit vier Jahren aus China nach Österreich gekommen, besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft, und lebt heute sowohl in Wien als auch in Taipei und Yokohama. Alle hier Genannten befassen sich mit kulturellen Verflechtungen, die sich über territoriale Grenzen eines Staates hinwegsetzen und nationale Begrenzungen herausfordern.

Das Programm für das Kunsthaus Graz greift gezielt Schlagworte, Themen und Narrationen auf, die in einer nach rechts driftenden Gesellschaft immer wieder beschworen werden, wie etwa christliches Abendland, Österreichisch Sein, Heimat, Tradition, Volk, Volkskultur. In den Ausstellungen werden diese Schlagworte, Themen und Narrationen von verschiedenen Seiten bearbeitet, dekonstruiert bzw. mit weiteren (anderen, mitunter sogar rivalisierenden) Bedeutungen aufgeladen. Ein paar Beispiele: Glaube Liebe Hoffnung zeigte verschiedene, nicht unbedingt vereinbare Sichtweisen auf Religion, Glauben und die Institution der katholischen Kirche. Congo Stars ging den weit in die Geschichte zurückreichenden spezifischen Beziehungen zwischen Kongo und Österreich nach, und bettete diese in globale Entwicklungen ein. Kunst Handwerk, Ende 2019, zeigt, dass das Tradieren von handwerklichem Wissen immer schon ein höchst lebendiger Prozess gewesen ist, dass Kulturen seit Generationen migrieren, Anregungen aufgreifen und geben, sich hybridisieren, und dies weniger eine Bedrohung sondern eine Bereicherung darstellt, von der Gesellschaften profitieren. Im Prinzip geht es im Programm des Kunsthauses Graz um das Rückerobern eines heute geradezu toxisch gewordenen öffentlichen Diskurses.

Frédéric Bußmann

Gedanken zum
gesellschaftlichen Engagement
von Museen

Natürlich sind Künstler*innen genauso wenig wie Kurator*innen dazu berufen, die Welt allein zu retten. Und Museen sind weder Schulen noch Gerichtsräume. Sie ersetzen auch nicht die athenische Agora als Ort der öffentlichen Debatte, aber können als sozialer und diskursiver Raum fungieren. Auch wenn Kunst Freiheit genießt und nicht externen Bedürfnissen dient, können Künstler*innen und Kurator*innen als politisch handelnde Wesen mit ihren Mitteln ihren Teil zu öffentlichen Debatten beitragen.

Welche Fragen beschäftigen uns im Augenblick? Vielleicht gar nicht so sehr das Verhältnis von Neu- zu Altbürger*innen – zumindest nicht mit Blick auf das Jahr 2015. Klar schaffen wir das gemeinsam. Aber wie sieht es mit der gegenseitigen Integration von alten Neu- und Altbürger*innen aus, die seit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland 1990 alles andere als ausgeglichen ist – und wie mit ihrem Verhältnis, das von persönlichen Verletzungen und struktureller Diskriminierung geprägt zu sein scheint? Verteidigung der Privilegien auf der einen Seite, das Gefühl des Zurückgesetztseins auf der anderen. Frust und Protest richten sich im Osten gegen das ganze System, die Provokation ersetzt bisweilen das Argument.

Und welchen Beitrag können Museen in diesen Diskussionen leisten? Sie können Angebote machen, die mit einer eigenen Sensibilität anders mit solchen Fragen umgehen, Identitäten und Erinnerungskultur verhandeln, dabei Ambiguitäten zulassen und Widersprüche aushalten. Ästhetisch, künstlerisch die Menschen ansprechen und ihnen Raum für eigene Gedanken lassen, ohne gleich den Untergang des Abendlandes oder der Demokratie auszurufen. Natürlich keine Plattform für sexistische, rassistische, homophobe Äußerungen und Handlungen, keine Diskriminierung erlauben, die Grenze muss klar sein, aber andere Meinungen zulassen, gerade wenn ich sie nicht teile – das bringt mich zur Überprüfung der eigenen Haltung. Haltung nicht im Korsett eines überkommenen sittlichen Regelwerks und ideologischer Doktrin, sondern Haltung aus einer selbstkritischen Stärke heraus, aus dem Verhandeln seiner eigenen Position, und dies mithilfe von Dialog- und Vermittlungsangeboten, Denkanreizen und Erfahrungsräumen, die einige Künstler*innen gewillt sind zu machen.